Als Teil des sogenannten Konjunkturpaketes als politisches Instrument zur Unterstützung der Wirtschaft bei der Behebung der Corona-Krise senkt die Bundesregierung ab 1. Juli 2020 die Mehrwertsteuer. Der Lebensmittelhändler LIDL hat mit einer selbsternannten WUMMS-Aktion diese Steuer bereits am gestrigen Montag mit einer wohlkalkulierten „Frühgeburt-Aktion“ angepasst. Konkurrenzlose Aufmerksamkeit bei Medien und Verbrauchern gesichert, Konkurrenz vorgeführt, Alleinstellungsmerkmal geschaffen - auch wenn die Halbwertszeit nur unwesentlich länger sein wird als das Leben einer Eintagsfliege. Wie alle Produkte sind mit der gestrigen Aktion natürlich auch die Milchprodukte "günstiger" geworden.
Bekanntlich gelten für die Mehrwert- bzw. Verbrauchssteuer zwei unterschiedliche Sätze. Der "normale" Satz beträgt derzeit 19, die "reduzierte" Abgabe liegt bei 7 Prozent. Die meisten Dienstleistungen werden demnach mit 19 Prozent versteuert, ebenso ein Großteil von Waren und Produkten. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz gilt neben Druckerzeugnissen wie Tageszeitung, Kulturangeboten, wobei nicht zwischen schwerer und leichter Kost unterschieden wird, auch für die Grundnahrungsmittel, also auch für Milch und Milchprodukte. Über die Frage, welche Produkte mit nur 7 Prozent besteuert werden, wird dabei regelmäßig trefflich gestritten.
Jetzt also die politische Entscheidung der Bundesregierung, mit einer Senkung dieser Steuer die Verbraucher zu entlasten und den Konsum zu beleben. Und zwar ab dem 1. Juli, befristet bis Ende dieses Jahres! LIDL hat diesbezüglich eine ganz eigene Philosophie: Laut Matthias Opitz, seines Zeichens Vorsitzender der Geschäftsleitung von LIDL Deutschland, wolle man sich mit den vorgezogenen Steuersenkungen, die ja erst einmal zu Lasten des Konzerns gehen, bei den Kunden für das in den letzten Monaten entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Die Verbraucher haben durch die bekannten Corona-Einschränkungen und die damit wieder vermehrt notwendige "häusliche Selbstverpflegung" die Discounter und Supermärkte gestürmt und die Konzerne strahlen lassen. Die „Frühgeburt“ von LIDL mit dem Vorziehen der Mehrwertsteuersenkung ist aber auch als Reaktion darauf zu sehen, dass die Zuwächse bei den Supermärkten wie Edeka und Rewe deutlich stärker ausgefallen ist, als bei den Discountern wie Aldi und Lidl. Aber diese pragmatische Entscheidung der Verbraucher, eher den Supermarkt mit einem in der Regel breiteren Sortiment als Einkaufsort zu wählen, um die Kontakte in Corona-Zeiten zu minimieren, musste natürlich die Discounter auf den Plan rufen. Und das hat LIDL jetzt ganz eigennützig umgesetzt.
Was hat sich nun in den Verkaufsläden von Lidl seit dem gestrigen 22. Juni geändert: Nach VMB-Recherchen und Store-Checks wurden tatsächlich bei allen Produkten des Food- und Nonfood-Bereiches die Preise angepasst, außer beispielsweise bei Tabakwaren, Zeitschriften, Büchern und Pfand. Aber die Umstellung ist neben dem bereits geschilderten Aufwand, in den kommenden 8 Tagen den Verbrauchern die selbst noch abzuführende reguläre Steuer nicht mehr in Rechnung zu stellen, auch sonst ein immenser Aufwand. Zum großen Teil sind die Preisausweisungen eben (noch) nicht digital. Mit einer besseren Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mussten fast alle Preiskärtchen manuell ausgetauscht werden - zum Teil wegen eines einzigen Cents.
Nicht nur bei den leider viel zu günstigen Milchprodukten sind hier Aufwand und Ertrag (für den Verbraucher) durchaus in Frage zu stellen: Auf der Grundlage der aktuellen Preisniveaus wurde mit gestrigem Tag die Deutsche Markenbutter um 3 Cent abgesenkt, auf 1,36 Euro/250 g. Bei den anderen Eckartikeln des Mopro-Sortiments sind dies ebenso nur ein bis zwei Cent: Vollmilch von 79 auf 78, Fettarme Milch von 71 auf 70 Cent/Liter. Käseaufschnitt (250 g) um 3 Cent auf 1,46 Euro, Speisequark von 75 auf 74 Cent, ebenso um jeweils einen Cent die gesamte Palette der Kondensmilchen. Von einer Entlastung des Verbrauchers durch die Verbilligung der Grundnahrungsmittel, wie es ursprünglich politisch angedacht war, kann also keine Rede sein. Dies auch immer mit Blick auf die bereits geringen Ausgaben der deutschen Verbraucherschaft für Lebensmittel.
Interessant in diesem Zusammenhang aus Sicht der Milchwirtschaft: Während wie schon gesagt Milch und Milchprodukte sich völlig zurecht zu den Grundnahrungsmitteln zählen dürfen, werden die leider in den Medien immer wieder als "Milch" und "Milchersatzprodukte" bezeichnenden Drinks auf der Basis von Soja, Mandel, Hafer, Lupinen usw. mit 19 Prozent versteuert. Diese Drinks kommen also in den "Genuss" einer dreiprozentigen Preissenkung auf 16 Prozent, müssen aber nach wie vor mit dem Makel leben, trotz Initiativen einschlägiger Non-Governmental Organisationen, höher besteuert zu werden und eben nicht zu den Grundnahrungsmitteln gezählt werden zu dürfen.