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Haltungsform: Milchmarkt im Wandel

Um gehört zu werden, neigt man ja schnell und gerne zu Übertreibungen. Diese Einschätzung ist aber wohl mehr als realistisch. Mit der Einführung der Haltungsformkennzeichnung bzw. Haltungsstufe (HS) auch für Milch durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) steht die bayerische Milchwirtschaft vor der wahrscheinlich größten Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte. Zuvorderst natürlich die Milcherzeuger, bei denen es diesmal nicht (nur) um den Milchpreis geht, sondern schlicht um die Frage, ob „der Markt“ sie angesichts teils abstruser Vorstellungen des LEH überhaupt als Teilnehmer noch akzeptiert. Die Sorge eines „drohenden Strukturbruches“ ist dabei nicht überzogen. Rund die Hälfte der deutschen Milcherzeuger wirtschaften auf bayerischen Betrieben. Und auf diese 50 Prozent wurde in der zurückliegenden Diskussion bei allem bereits gezeigten Willen zur Weiterentwicklung beim Tierwohl am wenigsten Rücksicht genommen. Genauso schwierig aber auch die Situation für einen großen Teil der bayerischen Molkereien, die in der Vergangenheit vieles richtig gemacht haben: Positionierung starker, nicht austauschbarer Marken. Dazu eine Produktdiversifizierung, die in Deutschland seinesgleichen sucht. Und trotz der strukturellen Unterschiede sowohl auf Erzeugerebene wie auch auf Ebene der Verarbeiter lag der bayerische Milchpreis immer deutlich über dem deutschen Niveau.

Angesichts der derzeit laufenden Olympischen Spiele muss man sich wohl am Milchmarkt erst noch daran gewöhnen, dass nicht mehr der Akteur die Nase vorne hat, der den weitesten (Skisprung) oder die schwierigsten Sprünge (Eiskunstlauf) zeigt, also bei der A-Note überzeugt. Auch die Haltungsnoten, also die B-Note spielt eine ganz gewichtige Rolle. So scheint es eben auch der bayerischen Milchwirtschaft im bundesdeutschen Wettbewerb zu gehen. Molkereien, die beim Milchpreis nicht mithalten können, wollen jetzt beim Handel mit der „Haltung“ punkten. Und hier haben Bayerns Milcherzeuger nun einmal mit viel Anbindehaltung und – perspektivisch – relativ wenig Weidemöglichkeit nicht die besten Voraussetzungen.

Wie in den vergangenen Wochen bereits ausführlich berichtet, wird nun zum 1. April die Haltungsformkennzeichnung auch die Milch erreichen. Mit der vor kurzem von den maßgeblichen Akteuren unterzeichneten Branchenvereinbarung ist die Verbindlichkeit hergestellt: QM+ geht an den Start. Die politischen Verbände wie der Bayerische Bauernverband (BBV) haben ihre Bewertungen abgegeben und vergangene Woche zu Aktionen gegen die Tierwohl-Inszenierung auch und vor allem von Branchenprimus Aldi aufgerufen. Der Kritik am Vorgehen, vor allem des Lebensmitteleinzelhandels, kann sich der VMB nur anschließen.

Unabhängig davon interessiert jetzt die Milcherzeuger vor allem, wie es denn jetzt weitergeht mit der Haltungsform und welche Entscheidungen in den kommenden Wochen auf den Betrieben anstehen, wenn die Mitteilungen von ihrer Molkerei eingehen. Denn die Verarbeiter werden jetzt vom LEH angegangen um ihre Vorstellungen darzulegen, welche Milchmengen sie für die Auslobung ihrer Eigenmarken bei Konsummilch benötigen. Und die Zeit bis April ist für die dafür notwendigen Schritte bei den Systemteilnehmern äußerst knapp.

Grundsätzlich ist festzuhalten: Bei der Haltungsform hat der LEH die Hosen an. Wie schon bei Fleisch wurden jetzt auch bei Rindfleisch und Milch Fakten geschaffen, auch wenn – um bei der Milch zu bleiben – auf der Ebene des Vereins QM-Milch e.V. mit dem Deutschen Bauernverband die Erzeuger und mit dem Deutschen Raiffeisenverband und Milchindustrie-Verband auch die Verarbeiter eingebunden waren. Und bei aller Kritik aus Erzeugerkreisen ist aus bayerischer Sicht nach dem „warum“ und dem „Erfolg“ der aktiven Mitarbeit von BBV und VMB in verschiedenen Gremien immer wieder zu betonen: Neben vielen kleinen Bausteinen in Fachfragen hätte sich außer Bayern niemand um die Belange der kleineren Betriebe und um die Etablierung der Kombihaltung gekümmert. Bei letzterem erfolgreich!

Der Einstieg bei Milch erfolgt nun nicht überraschend bei der Konsummilch und hier bei den Eigenmarken. Parallelen zur Einführung der Milcherzeugnisse ohne Gentechnik sind offenkundig.  Deshalb wird die Haltungsform in Bayern nicht alle Milcherzeuger sofort treffen. Zwar ist die Teilnahme am Zusatzmodul QM+ freiwillig. Doch gerade die Milcherzeuger, die an drei privat organisierten bayerische Handelsmarkenabfüller für Konsummilch liefern, werden diesbezüglich wenig Spielraum bekommen. Diese Milcherzeuger werden sehr schnell ein Audit für QM+ durchführen lassen müssen, um lieferfähig sein zu können.

Nicht überraschend werden sich auch die Molkereien bei ihren eigenen Marken Gedanken machen, ob sie sich der Auslobung der Haltungsform auf ihren Produkten entziehen können. Der Handel wird wohl auch hier seine Macht ausspielen, den Markenartiklern die Kennzeichnung ihrer Produkte wärmstens zu „empfehlen“. Da der Kampf um Regalplätze auch die Markenartikler betrifft, wird denen wohl nichts anderes übrig bleiben als zu folgen. Und die Markenmolkereien haben auch ein Eigeninteresse. Wie soll denn sonst der Mehrwert und der höhere Regalpreis dem Verbraucher glaubhaft dokumentiert werden, wenn auf den „billigen“ Eigenmarken des Handels die Haltungsform ausgelobt ist und bei den Markenartiklern nicht? Auch seitens des LEH wurde die Diskussion um höhere Haltungsstufen, also 3 und 4, mit bereits festgelegten Zeitfenstern hinreichend geschürt.

Die Lebensmittelhändler haben bisher und werden auch zukünftig die Pflöcke bei der weiteren Entwicklung der Haltungsform Milch setzen. Edeka und sein Discounter Netto Markendiscount ignorieren bereits zum Start in wenigen Wochen die HS 1, schließen also sofort Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung aus. Aldi hat dies etwas moderater, aber keineswegs beruhigender formuliert: Ausstieg aus HS 1 „bis 2024“. Das kann theoretisch bereits 2022 sein. Und ein Problem bei der Milch ist ohne Zweifel, dass der Handel, wie jetzt auch beim Fleisch, auf die so genannte „Nämlichkeit“ gedrängt hat: Wo die Haltungsform beim Produkt draufsteht, muss sie auch drin sein. Und dass dies bei der Milch "quasi naturgemäß" etwas anders und schwieriger zu handhaben ist als bei Fleisch, ist vor allem beim Handel noch nicht angekommen. Milch ist bekanntlich nicht nur weiß, sondern auch verderblich, muss jeden zweiten Tag abgeholt werden und ist vor allem auch noch flüssig.

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