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10 Minuten zum Flughafen, 48 Jahre zur Tierkontrolle?

Wer in Bayern mit der Zeiteinheit "in/mit 10 Minuten" argumentiert, wird vor allem bei der Generation "analog" unweigerlich an die legendäre Rede des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber erinnert: "Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit 10 Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen ...".  Nun, Edmund Stoiber ist bekanntlich bis heute nicht am Münchner Flughafen angekommen, jedenfalls nicht in 10 Minuten. Und die Rede aus seinen ges(t)ammelten Werken hat mittlerweile legendären Kultstatus, man lacht herzlich darüber. Prädikat (wieder Stoiber) Champions League!

Völlig anders sieht es bei einer derzeit in Bayern kursierenden Zahl aus, die bestenfalls traurige Berühmtheit erlangt, auch weil sie missbräuchlich verwendet und auf dem Rücken der Nutztierhalter ausgetragen wird. "Aktuell wird in Bayern jeder Tierhalter nur alle 48 Jahre kontrolliert. Damit ist Bayern trauriges Schlusslicht im Bundesvergleich" (Zitat Florian von Brunn, verbraucherschutzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, bei der jüngsten Pressekonferenz seiner Fraktion aus Anlass der bekannten Vorwürfe gegen einen Milchviehbetrieb aus dem Unterallgäu). Wiederholt hat er diesen Unsinn, dass bayerische Betriebe nur alle 48 Jahre mit Tierschutzkontrollen rechnen müssten, einen Tag später bei der außerordentlichen Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Verbraucherschutz sowie des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Und die meisten Medien, die sich auf Kosten der logischen Arithmetik zum Teil mit den Wanderbewegungen von Brachvögeln und anderem Getier beschäftigen, übernehmen solche Zahlen ungeschützt und ungeniert. Somit ist eine Zahl in der Welt und kann nicht  mehr aus der gedanklichen Umlaufbahn zurückgeholt werden, vor allem wenn es wie in diesem Fall um das hochemotionale Thema Tierschutz und Tierwohl geht.

Wo kommen denn nun diese vermeintlichen 48 Jahre her? Im Juli 2018 erfolgte eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag zum Vollzug des Tier- und Verbraucherschutzrechts. Dabei wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, in welchem Maße die Länder ihren Pflichten bei der Ausstattung der Veterinärverwaltungen nachkommen, wie sich seit Inkrafttreten der Pflichten zum "EU-Bericht Nutztierkontrollen nach Entscheidung 2006/778/EG" im Jahr 2009 in den 16 Ländern jeweils das Verhältnis von kontrollpflichtigen Betrieben, kontrollierten Betrieben und Betrieben ohne Beanstandung insgesamt sowie im Einzelnen bei Rindern (ohne Kälber) bis zu Legehennen und Pelztieren konkret darstellt. Und: In welcher Regelmäßigkeit werden demnach kontrollpflichtige Betriebe in den 16 Ländern aktuell jeweils rechnerisch, das heißt unabhängig von der risikobezogenen Durchführung der Betriebskontrollen und regionaler Unterschiede, tatsächlich kontrolliert.

Nun ist es in der Tat so, das für Bayern statistisch und rein rechnerisch bei 147.000 Nutztier haltenden Betrieben nur alle 48,1 Jahre ein Kontrolleur errechnet wurde. In Niedersachsen, bei 95.000 Nutztierhaltern sind dies 21,0 Jahre - und in Berlin, bei 167 (!) Nutztierhaltern rein rechnerisch alle 2,6 Jahre. Wir kommen nochmals zurück zum Flughafen: Schon da müsste ein kritisch recherchierender Politiker oder Journalist stutzig werden: Berlin, seit Jahrzehnten erfolglos Flughafen bauende Hauptstadt, mit der engsten Kontrolldichte bei Nutztierhaltern? Und Bayern, wo zumindest flughafentechnisch in den letzten 25 Jahren alles in geraden (Flug) Bahnen gelaufen ist, abgeschlagenes Schlusslicht?

Dass man Zahlen oft genauso wenig seriös vergleichen kann wie Äpfel und Birnen, zeigt der ebenfalls schwarz auf weiß in der Anfrage zugefügte Zusatz: "Es ist zu beachten, dass bei dieser Darstellung weitere Faktoren (z. B. Ergebnis der jeweiligen Risikobewertung der Betriebe) in den verschiedenen Bundesländern keine Berücksichtigung finden. Auch ist durch die stark unterschiedlichen Betriebsgrößen keine Aussage darüber möglich, wie viele Tiere durch die Kontrollen jeweils erreicht wurden. Vor diesem Hintergrund ist ein sinnvoller Vergleich der Daten aus der Sicht der Bundesregierung nicht möglich." Nun interessiert das wenig, weil das natürlich niemanden interessiert, vor allem nicht in Politik und Medien. Trotzdem ist es weder Journalisten noch Politikern (übrigens hier ohne die 5-Prozent-Klausel) verboten, sich die 36 Seiten umfassende Antwort auf die kleine Anfrage der FDP zu diesem Thema einmal, zumindest auszugsweise, zu Gemüte zu führen.

Fazit: Wie das Beispiel "alle 48 Jahre" leider wieder zeigt, hat sowohl die politische Tiefgründigkeit und leider auch die Qualität des Journalismus schwer gelitten. Fehler passieren und sind menschlich, aber deren unkontrollierte Verbreitung wider besseres Wissen ist nicht zu entschuldigen, auch nicht durch Zeitdruck und Zeitgeist. Den Tierhaltern wird übrigens auch - und zu Recht - nicht nachgesehen, wenn sie "aus Zeitgründen" gegen Recht und Gesetz beim Tierschutz verstoßen. Auf der einen Seite beklagen die Landwirte im Allgemeinen und die landwirtschaftlichen Nutztierhalter im Besonderen den ausufernden Kontrollwahn. Auf der anderen Seite suggerieren Medien und Politik, dass ein Nutztierhalter nur alle 48 Jahre kontrolliert wird. Und dann noch - um nochmals auf den aktuellen Fall im Unterallgäu zurückzukommen - ein Widerspruch in der Argumentation mit der Größe eines geistigen Bierdeckels: Der Betrieb wurde in den letzten 5 Jahren sage und schreibe 34 mal kontrolliert - und in Bayern kommt nur alle 48 Jahre ein Kontrolleur?

 

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